Das Fach Deutsch ist - um mit Theodor Fontane und Günther Grass zu sprechen - "ein weites Feld".
Wir möchten kurz die Unterrichtsziele an Hand der drei Grundkompetenzen vorstellen — und zwar in alphabetischer Reihenfolge, denn alle drei sind uns gleich wichtig: lesen — reden — schreiben
Nicht erst seit der PISA-Studie wissen wir, dass sinnerfassendes Lesendie Schlüsselkompetenz in einer Informationsgesellschaft — und in einer solchen leben wir — darstellt.
Lesen hat sich in der Multimediagesellschaft stark verändert, und jugendliche Leser und Leserinnen passen sich den neuen Gegebenheiten schnell an: Sie lesen weniger Bücher und Zeitschriften, dafür mehr in den neuen Medien. Sie lesen Texte im Internet, sie chatten und rufen E-Mails ab. Gute Leser beherrschen das mehrkanalige Lesen, das das rasche Erfassen von Text, Bild, Graphik und Ton beinhaltet. Diese Form des Lesens schult Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, und das sind sicher wichtige Eigenschaften in der modernen Welt, die wir auch trainieren wollen. Unsere Schülerinnen und Schüler sollen schnell die für sie wichtigen Informationen aus einem Text, in welchem Medium auch immer er gelesen wird, herausfiltern können.
Lesen soll aber nicht nur ein zweckgebundenes Tun sein, unser Ziel ist es vor allem, die Leselust zu wecken. Lesen ist Abenteuer im Kopf und ein sinnliches Vergnügen: An einem gemütlichen Platz, mit einem guten Buch, das sich fein anfasst und neu riecht, in die grenzenlose Welt der Fantasie zu entschwinden soll eine echte Versuchung werden. Um die Leselust ist es laut PISA-Studie schlechter bestellt als um die Lesekompetenz, denn 40 Prozent der Jugendlichen lesen nur, wenn sie unbedingt müssen. Und Bücher schneiden dabei nicht besonders gut ab. Das „herkömmliche" Lesen (von belletristischen Büchern) fördert jedoch die Fantasie sowie die Konzentration über einen längeren Zeitraum. Es führt zu selbstbestimmtem Denken, Toleranz und Kritikfähigkeit und ist wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung. Gerade in dem Alter, in dem sich unsere Schülerinnen und Schüler befinden, kann Literatur auch Lebenshilfe sein: Sie kann eigene Erfahrungen bestätigen, für Unbekanntes die Augen öffnen und Toleranz stärken, offene Fragen lösen und Begleiterin in Krisen sein.
Literatur ist ein Schlüssel zur Welt. Der italienische Kritiker und Schriftsteller Roberto Cotroneo schreibt seinem Sohn einen "buchlangen"; Brief über die Liebe zu den Büchern ("Wenn ein Kind an einem Sommermorgen"). Zwei Stellen seien daraus zitiert: "Vor der Literatur darf man sich nicht fürchten, Francesco, nicht einmal vor der schwierigsten.[...]Mach die nervöseste und komplizierteste Literatur nicht zu einem Denkmal, zu etwas, das man bewundern muss wegen seiner zwecklosen Größe"[...] Dieser Satz sei auch uns Deutsch-Lehrern ins Stammbuch geschrieben. Und Cotroneo fährt fort: "Und noch eins musst du wissen, Francesco, merk es dir. Trau denen, die gerne lesen, hab Vertrauen zu denen, die immer einen Gedichtband mit sich herumtragen. Und misstraue denen, die sagen, sie hätten keine Zeit zum Lesen".
Wir hoffen, dass wir viele, auch unkonventionelle Schlüssel zur Welt der Literatur finden, sodass sich deren Reichtum unseren Schülerinnen und Schülern zunehmend erschließt. Am Ende der fünfjährigen Laufbahn ist dann auch die Frage nach literarischer Qualität — hoffentlich — keine Frage mehr.
Eigene Gefühle, Gedanken und Wünsche klar und sicher ausdrücken zu können ist eine weitere wichtige Kompetenz sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben. Private Beziehungen gelingen besser, wenn der jeweilige Partner seine Wünsche, Gedanken und Gefühle dem anderen klar und unmissverständlich mitteilt. In einer demokratischen Gesellschaft, die sich zum Pluralismus bekennt, ist die klare Rede eine immer wichtiger werdende Kompetenz, die wir vermitteln wollen. Dabei ist es unser Ziel, dass die jungen Menschen wahrhaftig hinter ihrem Wort stehen können und niemandem ins Wort fallen. Und da gilt es eine weitere Fähigkeit zu schulen, das Zuhören. Die komplementäre Fähigkeit zum Reden ist Hören. Und um diese Fähigkeit ist es in unserer stark individualistischen Gesellschaft eher schlecht bestellt. Nur wer beides beherrscht — Hören und Reden — , wird in unserer Kornmunikationsgesellschaft bestehen und zu einem menschlichen Antlitz dieser Gesellschaft beitragen.
Wir legen Wert auf Hochdeutsch. Das bedeutet keine Kampfansage an den Dialekt. Er ist ein kostbares Gut, die Sprache des Herzens, zu pflegen im privaten Gespräch. Die Sprache der Reflexion und des öffentlichen Raums — und der endet nicht an Vorarlbergs Grenzen — ist Hochdeutsch.
Wir sind eine berufsbildende Schule. 60 Prozent unserer Absolventen sind in kaufmännischen Berufen tätig. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin erwartet vom Deutschunterricht in erster Linie, dass er den Schüler und die Schülerin befähigt richtig zu schreiben. Die Grundregeln der Rechtschreibung müssen also beherrscht werden, für die schwierigeren Fälle wollen wir ein Problembewusstsein wecken, das dem Schreiber und der Schreiberin signalisiert: nachschauen! Und in diesem Bereich erwarten wir auch, dass außerhalb des Unterrichts individuell an den jeweiligen Schwächen gearbeitet wird.
Schreiben funktioniert — wie Reden auch — nach grammatikalischen Regeln. Wir legen gerade in den ersten Jahrgängen Wert auf das Verständnis des Regelwerks der Muttersprache. Denn — das hat die neue Mehrsprachigkeitsforschung ergeben — nur wer in einer Sprache sicher ist, in ihrem System daheim ist, erlernt leicht andere Sprachen. In diesem Sinne bedienen wir uns auch der lateinischen Terminologie in der Grammatik. Der Transfer zu Englisch und den romanischen Sprachen: Französisch, Italienisch bzw. Spanisch ist dann ein Kinderspiel.
Schreiben hat aber genauso wie Lesen neben der verzweckten eine kreative, lustbetonte Seite.
Schreiben kann in stürmischen Zeiten — und in solchen befinden sich Heranwachsende nicht selten — entlastend sein: sich den Kummer von der Seele schreiben. Schreiben hat auch klärende Funktion. Wenn verworrene Gefühle und Gedanken in Sätze geformt werden müssen, klären sie sich. Und schlussendlich darf man auch schreiben aus purer Lust am Schreiben. Vielleicht ist unter uns eine künftige Autorin, die dann aus der nötigen Distanz zum Unterrichtsgeschehen auch einmal in launigen Versen über ihre Erfahrungen mit Deutsch spricht, wie es Mira Lobe im folgenden Text „Deutsch ist schwer" tut.